(6/7) Dein Potential 2023 – „Befreiung von der Gruppenmacht“

Posted 3. Mai 2023
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Von Stefan Josef Höck

Wie kann die Macht einer Gruppe am einfachsten zu bröseln beginnen? Wie lassen sich womöglich sogar eingefahrene Überzeugungen auflösen?

In der neuen Ausgabe des Blogs von „Lebenswert TV“ schreibe ich heute darüber, welches wirksame Instrument ein Umdenken und Nachdenken bewirken kann, um Gruppen- und Expertenmeinungen entgegenzutreten.

In den bisherigen Beiträgen zu „Dein Potential 2023“ haben wir bereits anhand einiger Beispiele gesehen, dass Gruppendenken und -dynamik äußerst negative Konsequenzen haben können. Auch die Expert:innen haben dabei nicht unbedingt ein gutes Bild abgegeben.

Wir haben ebenso einen Blick darauf geworfen, was für ein entscheidender Auslöser andersdenkende Personen sein können, wenn sie bspw. bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen. Das Durchhaltevermögen ist dabei ein wichtiger Faktor, da in Kauf genommen werden muss, gerade mit wiederholter Ablehnung  umzugehen.

Bisher hatten wir mehr die positiven und negativen Konsequenzen im Blickfeld, wenn Gruppen und Expert:innen nicht infrage gestellt werden. Ein geeignetes Instrument bzw. das „Wie“ haben wir bis jetzt noch nicht so direkt angesprochen. Damit Meinungen aufgeweicht und Einstellungen umgekrempelt werden.

  • „Infrage“ beinhaltet genau das Instrument, das am wirksamsten eingesetzt werden kann: Fragen stellen!

Wenn nun die Rede davon ist, dass das Fragen bisher nur indirekt ein Thema war, dann deshalb, weil zum einen Frage nicht gleich Frage ist, zum anderen Arten von Fragen bzw. Fragemethoden hier hineinspielen. Deshalb soll das Fragen der Kern des heutigen Beitrags sein.

  • Was empfindest du, wenn dich jemand mit einem „Warum?“ konfrontiert, und das ständig?
  • Löst das in dir eher Aggression aus oder lässt dich das einfach hinterfragen, ob du in deiner Ansicht zu starr bist?

Wie wir in „Genie oder Spinner – Sind wir offen für Neues?“ von Jürgen Schaefer erfahren, waren die richtigen Fragen die Erfolgsbasis für John Brockman. Als Literaturagent von „wissenschaftlichen Shootingstars“ und von „Nobelpreisträgern“ hat er Ruhm und Reichtum vor allem deshalb erreicht, weil er gleichzeitig den richtigen Zeitpunkt erwischt hat.

Nach Brockman sind gute Fragen diejenigen, welche für die Beantwortung Erfahrung brauchen und sogar darüber hinausgehen. Wobei genau die s.g. „Querdenker“ die von anderen aufgegebenen Fragen wieder aufgreifen. Sein „Reality Club“ soll die „klügsten Denker“ zusammenbringen, um sich untereinander zu den Fragen auszutauschen, für welche sie selbst keine Antworten finden können.

Die von Brockman im Jahr 1991 beschriebene „third culture“ gibt der intellektuellen Person eine neu definierte Beschreibung. Die Intention ergibt sich aus der Ignoranz der (oft sogar vielleicht selbsternannten) Intellektuellen, damit nach meinem Verständnis neuen wissenschaftlichen Ansätzen echter Raum gegeben wird. Zentraler Inhalt ist der „kluge Gedanke“ auf eine „intelligente Frage“.

Vielen Menschen kommt niemals im Leben ein Gedanke voller Genialität, wie Brockman meint, und sieht das als keine einfache Aufgabe an. Gleichzeitig will die „third culture“ Menschen dazu bringen, dass sie nach dem fragen, was sie nicht wissen. Aus meiner Sicht gehört hier dazu, wie ein Kind zu fragen, denn Kinder denken über „falsch“ nicht einmal nach, wenn sie die Welt zu erforschen beginnen.

Die Online-Community auf www.edge.org verkörpert einen vielseitigen Personenkreis, speziell im Bezug auf ihre unterschiedlichen Interessen. Intellektuellen bietet die seit 1997 bestehende Plattform die Möglichkeit, sich einen entsprechenden Schlagabtausch zu liefern. „Gute Edge-Fragen“ sind solche, die den Dissens fördern. Andersdenkende Personen sollen damit – im positiven Sinne – angelockt werden, um genau diese Fragen zu beantworten.

  • Der Physiker Freeman Dyson hat 1999 gemeint, das Heu wäre in den vergangenen 2000 Jahren die wichtigste Erfindung gewesen. Was wäre deine Antwort darauf?

Die weltweite Vernetzung begünstigt jedenfalls einen schnelleren Austausch zu den verschiedensten Themen. Umso verrückter die Antworten auf eventuell eigenartig erscheinende Fragen klingen mögen, umso wahrscheinlicher sind zahlreiche an Utopie grenzende Ideen.

  • Doch sind wir nicht auf der Suche nach einer weltverändernden Idee, nach einer Idee, die das Leben für alle lebenswert revolutioniert?

Ob nun die Kryokonservierung oder die Entschlüsselung der Gehirnsprache gelingen wird, ist nicht absehbar, und alle Ideen sollten womöglich gar nicht realisiert werden. Entscheidend wird bei allen Ideen sein, dass der Mensch genau darauf achtet, wo Maschinen und künstlich erzeugte Intelligenzen dienen und wo sich diese zu einem Fluch entwickeln können.

Brockman betont, dass für ihn der Fokus darauf liegt, durch eine Frage eine ausreichende Anzahl von Antworten herauszufordern, dadurch die Inspiration gefördert wird. Er räumt ein, dass Fragen nicht immer funktionieren müssen und sich das kaum prophezeien lässt. Ich würde sagen, die Übung lässt uns im Fragen einfach besser werden und die richtigen finden.

Für Journalisten wird eine gute Frage damit zu tun haben, ob bspw. eine Person aus der Politik zum Fall gebracht werden soll bzw. Missstände aufgedeckt werden sollen. Wenn Sportler:innen oftmals genervt erscheinen, dann kann ich das verstehen. Wobei durch die gestellten Fragen nach meiner Auffassung in den Antworten von vielen amüsierende Erklärungen für eine schlechte Leistung gefunden werden.

Als Richard Nixon im Jahr 1977 auf den britischen Entertainer David Frost getroffen ist, hatte er durch die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt bei dem geführten Interview keine Chance, um den Boden unter den Füßen zu behalten. Dieses Ereignis gilt als eines der wichtigsten in der Politik im 20. Jahrhundert. Die „Watergate-Affäre“ hat Nixon selbst nach seinem Rücktritt noch verfolgt.

Nixon wollte sich mit einer Ausweichtaktik aus den Fragen herauswinden, weil aber Frost auf sein Ziel fokussiert war, hatten seine Fragen den gewünschten Effekt. Wie Jürgen Schaefer in „Genie oder Spinner – Sind wir offen für Neues?“ anführt, gehört zum Ziel ebenso ein gewisses Durchhaltevermögen, denn das Selbstbewusstsein des Gegenübers muss erstmal „geknackt“ werden.

In unseren privaten und beruflichen Diskussionen haben Fragen aus meiner Sicht nicht den Zweck, andere Menschen verletzend und niederträchtig an die Wand zu spielen, sondern vielmehr die Aufgabe neue Ideen zu finden, woraus schließlich dienlichere Strategien entwickelt werden können als ohne neuartige Ansätze.

In Bewerbungsgesprächen werden zahlreiche Fragen gestellt, wobei ich mich bei manchen – ehrlich gesagt – über die Art und Weise oder die Frage überhaupt gewundert habe. Im Nachhinein betrachtet waren viele nachvollziehbar, und als Bewerber:in sollten diese Fragen nicht unbedingt als bösartige Konfrontation gesehen werden.

Das Interview von Frost mit Nixon soll hier einfach als Beispiel dienen, um zu veranschaulichen, dass mit den passenden Fragen die tiefsten Geheimnisse ergründet werden können. Dabei ist für mich noch viel wichtiger, dass erkannt wird, das Gruppenmitglieder und Expert:innen in Bedrängnis gebracht werden können, wenn sie keine zufriedenstellende Antwort darauf finden, weshalb wir bspw. so viel CO2 in unserer Atmosphäre haben. Wenn die abschmelzenden Eisberge nicht als Begründung genannt werden, dann würde für mich eine zu eingeschränkte Sichtweise zutage befördert werden.

In „Genie oder Spinner – Sind wir offen für Neues?“ erfahren wir, dass sich Journalisten in Bezug auf die soziale Bestätigung in derselben Situation befinden wie die s.g. „Querdenker“. Ein weiterer Faktor ist besonders auch für diese Berufsgruppe erfolgsentscheidend, und zwar eine Vertrauensbasis zu schaffen. Die gestellten Fragen sind ausschlaggebend dafür, ob das seidene Band des Vertrauens hält, sollte sich die interviewte Person angegriffen fühlen.

Darüber hinaus stellt die Qualität einer Frage in fachlicher Hinsicht einen wichtigen Einflussfaktor dar, wobei Lockerheit, Souveränität und Sachlichkeit für den Eindruck einer Frage essenziell sind. John Sawatzky, Journalismuslehrer und Interviewexperte aus Kanada, weist darauf hin, dass eine gute Frage vordergründig „einfach, direkt und kurz“ ist.

Heute habe ich schon die Frage gestellt, was ein „Warum?“ bei dir auslöst, denn genau diese und weitere Fragen, die mit „W“ beginnen, sind am wirksamsten. Abhängig von der Fragesituation bieten sich als Methode s.g. „zirkuläre Fragen“ an.

Wenn wir davon sprechen, dass andersdenkende Menschen in Gruppen, in der Gesellschaft einen schweren Stand haben, dann kann das u.a. daran liegen, dass sie zu wenig oder gar nicht fragen. Sawatzky bringt das Fragestellen mit dem Ernstnehmen in Verbindung. Denn er meint, Fragen würden ernst genommen werden, weil wir uns selbst ernst nehmen.

Nach einer Expertise gefragt zu werden, wirkt sich schließlich auf den eigenen Selbstwert und auf die Selbstwahrnehmung der eigenen Person aus, kann sogar dazu führen, mangels Antworten den Umdenkprozess zu starten, womit das Ziel eines s.g. „Querdenkers“ erreicht ist.

Wie ich immer wieder feststelle, ist besonders in der Familie das Fragen herausfordernd, da besonders bei älteren Menschen ein Glaubensmusterschock entstehen kann. Vielleicht bin ich manchmal zu hartnäckig, obwohl ich einfach nur das „Wieso?“ beantwortet haben will, wie:

  • Aus welchem Grund sind Nachrichten wichtig? Was bringt mir bspw. ein Newsflash?

Sawatzky nennt als Beispiel saubere Fenster, durch die wir mit wertfreien Fragen durchschauen wollen, ohne mit dem eigenen Wissen zu glänzen, sondern einfach mit Fragen der Neugier Ausdruck  verleihen wollen, um etwas in Erfahrung zu bringen.

Wünsche dir eine spannende Zeit des Fragens und Antwortens und lade dich ein freitags in meinen Podcast auf iTunes, Spotify, Stitcher, TuneIn oder Amazon Music hineinzuhören.

Alles Liebe

Stefan Josef

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